Thomas Manns Buddenbrooks – Verfall einer Familie (1901) wird gerne auch als „Jahrhundertroman“ bezeichnet. Es ist nicht nur der Roman einer Familie, sondern eigentlich der Roman seiner Familie, nahm Mann doch die Geschichte seiner Vorfahren als Blaupause für dieses epische Werk. Als Thomas Mann dafür 1929 den Nobelpreis für Literatur erhielt, ärgerte er sich ein wenig, dass in der Laudatio sein Zauberberg unberücksichtigt geblieben war, den er für stilistisch ausgereifter hielt als die Geschichte über den Untergang einer reichen Kaufmannsfamilie.
Endlich habe ich den Roman ebenfalls gelesen, nachdem ich mich immer wieder davor gedrückt habe. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich dieses kolossale Werk erst jetzt für mich entdeckt habe, denn so kam ich in den Genuss eines packenden Familiendramas, das sich zwar über mehrere Generationen erstreckt, sich aber auf das Schicksal von Thomas Buddenbrook und seiner Geschwister konzentriert.
Obwohl Thomas Buddenbrook im Zentrum des Geschehens steht, so fällt auf, dass seiner Schwester Toni Buddenbrook beinahe genauso viel Raum in der Geschichte zukommt. Manchmal dachte ich mir sogar, dass Thomas Mann Antonie interessanter fand als Thomas, vor allem da mit ihr ein weiteres Thema in den Roman Einzug erhält, nämlich das der Emanzipation.
Toni ist von Anfang an ein aufgewecktes Kind, das sich gegen alle Konventionen stellt. Schnell aber muss sie erfahren, dass sie als Frau vollkommen dem Patriarchat unterliegt. Ihre einzige wahre Liebe findet keine Erfüllung. Stattdessen wird sie gezwungen, den widerlichen und aufdringlichen Kaufmann Bendix Grünlich zu heiraten. Bendix hat es natürlich nur auf die Mitgift abgesehen. Die Ehe scheitert. Doch Toni muss von da an mit den Schmähungen fertig werden, welche die Gesellschaft gegenüber geschiedenen Frauen hegt.
Alleinerziehend, lebt sie wieder bei ihrer Familie, bis sie in München einen weiteren sonderbaren Kauz namens Alois Permaneder kennenlernt, dessen Verhalten sie zunächst fasziniert, der sie jedoch später mit dem Hausmädchen betrügt. Wiederum ist Toni geschieden und muss die oben erwähnten Schmähungen erleiden.
Trotz ihres Scheiterns aber lässt sie nicht locker. Sie beginnt, sich mit Wahlrecht auseinanderzusetzen, was die Männerwelt geradezu schockiert. Ich glaube, dass in einem der letzten Kapitel sogar steht, dass sie sich Gedanken über das Frauenwahlrecht macht. Eine ganz kurze Stelle, die Thomas Mann wie nebenbei erwähnt.
Ein weiterer Aspekt, der mit dem Thema Emanzipation einhergeht, findet sich bei Thomas Buddenbrooks Bruder Christian, der immer wieder betont, dass er es in einem Büro nicht aushält, sondern lieber selbständig und frei werden möchte. Ähnlich wie bei Toni, so ist auch sein Streben nach Unabhängigkeit zum Scheitern verurteilt, was jedoch an ihm selbst liegt und nicht an der Gesellschaft.
Er ist überaus naiv und leichtsinnig, möchte so etwas wie ein Bohemien oder Dandy sein, doch prallen seine Vorstellungen mit voller Wucht immer wieder auf die Realität, die so aussieht, dass Christian unter einer immer stärker werdenden Psychose leidet.
Sowohl Toni als auch Christian finde ich aufgrund ihrer Versuche, sich von den traditionellen Regeln zu lösen, am interessantesten in dem Roman. Ihre Schicksale sind überaus bewegend und mitreißend, wobei man jedoch gegenüber Christian stets eine Mischung aus Sympathie und Ablehnung hegt. Sein Verhalten erscheint manchmal extrem egoistisch, was jedoch auch auf seine Psychose zurückzuführen ist.
Emanzipation ist natürlich nur eines von vielen Themen, die in diesem großartigen Roman zu finden sind. Doch verleiht dies, wie ich finde, den Buddenbrooks einen zusätzlichen Reiz und eine zusätzliche Spannung.