Mit seinem 1867 erschienenen Roman Thérèse Raquin verfasste Emile Zola nicht nur ein packendes Erotikdrama, sondern begründete damit zugleich den Naturalismus. Hundert Jahre später diente sein Romandebut als Vorlage für den italienischen Horrorfilm The Ghost und 2009 ließ sich der bekannte koreanische Regisseur Park Chan-Wook von Zolas Roman für seinen Vampir-Thriller Thirst inspirieren.
Thérèse Raquin in eine Horrorstory umzuwandeln liegt im Grunde genommen auf der Hand. Zola selbst verwendet in seinem Roman Aspekte der Schauerliteratur, um damit die Schuld und das schlechte Gewissen seiner beiden Prota-Antagonisten zu veranschaulichen. Thérèse Raquin und ihr Liebhaber Laurant geraten nach dem Mord an Thérèses Ehemann Camille in eine immer größer werdende Psychose. Sie leiden unter Halluzinationen, in denen sie den getöteten Camille zu sehen glauben, der bei jedem Erscheinen stets mehr der Verwesung anheim fällt (dieser Aspekt findet sich übrigens auch in John Landis‘ American Werewolf wieder, in welchem Davids verstorbener Freund Jack regelmäßig auftaucht, wobei er bei jedem seiner Auftritte etwas mehr der Fäulnis unterliegt).
1963 drehte Riccardo Freda (u. a. bekannt durch seine Maciste-Filme) mit The Ghost eine freie Adaption dieses Stoffes. Die Handlung spielt im 19. Jahrhundert. Die Hauptfiguren bestehen aus Margaret Hichcock (gespielt von Barbara Steele), ihrem Mann Dr. John Hichcock und ihrem Liebhaber Dr. Charles Livingstone. Die Handlung, auch wenn Emile Zola als Ideengeber nicht erwähnt wird, orientiert sich an Thérèse Raquin. Margaret geht eine Beziehung mit dem Freund ihres Mannes ein. Beide beschließen, ihren Mann umzubringen. Nach dieser Tat werden beide von unheimlichen Visionen heimgesucht, in denen der Ermordete sein Unwesen treibt. The Ghost, leider fast völlig vergessen, besticht dabei durch eine hervorragende Kameraarbeit und kreiert von Anfang an eine knisternde Dichte, welche sich ebenso in Zolas Roman wiederfindet.
2009 folgte die koreanische Adaption. Park Chan-Wook, der mit seinem Film Oldboy, weltberühmt geworden ist, orientiert sich sehr genau an Zolas Vorlage. Die Rahmenhandlung, in welcher der Priester Sang-Hyeon durch einen medizinischen Versuch zum Vampir wird, erscheint dabei überflüssig. Parks Film hätte auch ohne diffuse Erklärung funktioniert. Doch unabhängig davon ist hier, ähnlich wie mit The Ghost, ein Meisterstück gelungen. Die Haupthandlung spielt wie in Zolas Debut in einem Nähgeschäft. Dort langweilt sich Tae-Joo zu Tode. Ihr stets kränkelnder Mann geht ihr auf die Nerven. Als Sang-Hyeon in ihr Leben tritt, geht sie sogleich eine Affäre mit ihm ein. Der Beschluss, ihren Mann Kang-Woo zu töten, ist schnell gefasst. Die darauf folgenden Visionen, welche wie in Zolas Roman die Schuldgefühle symbolisieren sollen, ähneln denjenigen in Thérèse Raquin. Emile Zolas „Thriller“, der auf einem wahren Kriminalfall beruht, galt seinerzeit als Skandal. Einen solchen wollte auch Regisseur Park provozieren, in dem er neben den freizügigen, bis ins Skurrile reichenden Sexszenen zum ersten Mal im koreanischen Kino einen völlig nackten Mann präsentiert. Auch wenn dessen Gemächt nicht einmal eine Sekunde lang zu sehen ist, so erregte diese Szene vor allem beim (nicht nur weiblichen) Publikum Aufsehen.
Es zeigt sich dabei, dass man großartige Literatur durchaus in großartige Horrorästhetik transformieren kann, ohne dass der eigentliche Inhalt verloren geht. Oder anders ausgedrückt, hätte Emile Zola ein anderes Genre gewählt, wäre er wahrscheinlich ein großartiger Horrorautor geworden.