Die Bücherträume der Achilla Presse – Ein Beitrag von Alexander Pechmann

achilla1Die Verlagsbuchhandlung Achilla Presse, 1990 gegründet von dem Hamburger Grafiker Mirko Schädel und dem Bremer Buchhändler Axel Stiehler, schließt bis zum Ende des Jahres ihre Pforten. Diese Meldung vom Ende eines ganz und gar unabhängigen Kleinverlags, dem wir so viele bibliophile Schätze verdanken, ist bedauerlich genug, was jedoch noch mehr schmerzt, ist das anhaltende Schweigen, das auf die Ankündigung folgte – als würde ein solcher Verlust niemanden interessieren. Die Achilla Presse existierte freilich immer schon abseits der Branche, veröffentlichte in unregelmäßigen Abständen, verkaufte nur über Verlag und einige ausgewählte Buchhandlungen und verzichtete in den letzten Jahren sogar auf ISBN-Nummerierung, doch schon ein flüchtiger Blick auf ihr Programm zeigt, dass hier nicht nur irgendein unrentables Unternehmen das Handtuch wirft. Mit der Achilla Presse endet ein Traum: Der Traum, Begeisterung zu wecken mit Büchern, die sich keinem massentauglichen Trend unterordnen, die aber auch keinem akademischen Kanon entsprechen – Bücher, die in einem alternativen Universum vielleicht gefeierte Klassiker sind, aber in unserem mutwillig vergessen und ignoriert wurden – Bücher wie den satirischen Reiseroman „Die Monikins“ von James Fenimore Cooper, den liebenswerten „Kenelm Chillingly“ von Edward Bulwer-Lytton oder Herman Melvilles poetische Südseephantasie „Mardi“.

achilla2Durch das letztgenannte Buch, in der schwungvollen Übersetzung von Rainer G. Schmidt, wurde 1997 das Interesse an Melville in Deutschland neu entfacht und weitere Erst- und Neuübersetzungen ermöglicht. Die Achilla Presse bot nach diesem Überraschungserfolg den weithin unbekannten, übersehenen, zurückgewiesenen, aber immer auch erstaunlichen und lesenswerten Werken bedeutender Autoren – Sherwood Anderson, Gertrude Stein, Joseph Sheridan Le Fanu, W. H. Hudson, Robert Louis Stevenson, Victor Hugo, William Godwin, Hubert Selby, Edgar Allan Poe, Joseph Conrad und Ford Madox Ford – ein gepflegtes Zuhause. Sie präsentierte aber auch obskure Perlen der deutschsprachigen Phantastik in einmalig schön illustrierten Ausgaben: Franz Kreidemann, Arno Hach, Leopold Günther-Schwerin, Hans Georg Wegener und Karl von Schlözer wären ohne den verlegerischen Mut und der Sammelleidenschaft Mirko Schädels wohl für immer aus dem Gedächtnis wie aus den Bücherregalen verschwunden.

achilla4Mit den großen Bibliographien zur Kriminalliteratur, zur phantastischen-utopischen Literatur und zum Leihbuchwesen in Deutschland haben Verlag und Verleger zudem eine kulturwissenschaftliche Pionierarbeit geleistet, die wohl nur von echten Kennern und Sammlern angemessen gewürdigt werden kann. Dass ein solches Engagement irgendwann an die Grenzen des menschlich Machbaren und Finanzierbaren stößt, ist verständlich, doch sollte das Ende der Achilla Presse nicht von Grabesgesängen begleitet werden, sondern Anlass sein, um Danke zu sagen für all die Entdeckungen und Kostbarkeiten, die uns kein anderer Verlag hätte schenken können. Diese kleine Würdigung ist kein verfrühter Nachruf, aber vielleicht ein später Weckruf an alle Freunde schöner und guter Bücher, die nächsten Wochen und Monate zu nutzen, die Homepage des Verlags (http://www.achilla-presse.de) oder das zugehörige Kriminalmuseum in Butjadingen zu besuchen und vielleicht noch den ein oder anderen Schatz nach Hause zu holen.

Copyright: Alexander Pechmann

Alexander Pechmann ist Übersetzer vor allem klassischer englischsprachiger Literatur, Herausgeber und Essayist. Zuletzt von ihm erschienen sind die Bücher „Das Paradies der kleinen Dinge“ von Sophia und Nathaniel Hawthorne und „Ned Myers oder Ein Leben vor dem Mast“ von James Fenimore Cooper.

Hill House und seine Erben – Shirley Jacksons berühmter Geisterhausroman und was danach kam

HauntingOfHillHouse1959 veröffentlichte die amerikanische Thriller-Autorin Shirley Jackson ihren wohl berühmtesten Roman „The Haunting of Hill House“. Es handelt sich dabei um einen Spukhausroman, der sich jedoch nicht als schlichte Horrorgeschichte versteht, sondern viel eher als psychologischer Thriller mit paranormalen Zwischenschüben. Es geht darin um den Anthropologen Dr. Montague, der ein Experiment in einem angeblichen Spukhaus durchführen will. Die Teilnehmer sind die schüchterne Eleanor, die mit leicht telepathischen Fähigkeiten ausgestattete Theodora und der Erbe des Spukhauses Luke. Ziel des Experiments ist es, zu ergründen, ob es in Hill House, das vor 80 Jahren von dem Industriellen Hugh Crain erbaut wurde, tatsächlich spukt. Das leicht fertig ins Leben gerufene Vorhaben gerät nach und nach außer Kontrolle.

„The Haunting of Hill House“ ist wahrscheinlich der packendste und überzeugendste Spukhausroman, der jemals geschrieben wurde. Das Besondere daran ist, dass Shirley Jackson das Haus nie wirklich mit architektonischen Begriffen beschreibt, sondern dafür Adjektive wie z.B. „scheußlich“ und „aussätzig“ verwendet. Die Handlung wirkt zunächst eher skizzenhaft, bevor sie sich nach den ersten 30 Seiten zunehmend verdichtet. Shirley Jackson, die mit ihrer Kurzgeschichte „Die Lotterie“ berühmt geworden war, befindet sich hierbei auf der Höhe ihres Schaffens. Der Roman beeinflusste später Größen wie etwa Stephen King und Richard Matheson.

Bulwer-Lytton
Edward Bulwer-Lyttons „The Haunted and the Haunters“ (Das leere Haus in der Oxfordstreet) zählt zu den berühmtesten Spukhausgeschichten.

Knapp hundert Jahre vor „Spuk in Hill House“, so der Titel der 1993 im Diogenes Verlag erschienen Übersetzung, verfasste Edward Bulwer-Lytton eine recht ähnliche Geschichte. In „The Haunted and the Haunters“, die 1859 erschien und von der es unterschiedliche Fassungen und auch verschiedene Titel (wie z.B. „The House and the Brain“) existieren, geht es um eine Wette. In einem alten Haus in London soll es angeblich wirklich spuken. Kurzerhand entschließt sich der Ich-Erzähler zusammen mit seinem Diener und seinem Hund eine Nacht darin zu verbringen. Sein anfänglicher Spott gegenüber dem Geisterglauben verwandelt sich in eben dieser Nacht in reines Entsetzen.

Es scheint so, als hätte sich Shirley Jackson von dieser Geschichte, die wohl zu Bulwer-Lyttons bekanntesten Erzählungen gehört, inspirieren lassen. Die Wette wird von ihr in ein Experiment transformiert. Das Interesse am Spuk wird zu einem wissenschaftlichen Unterfangen. Es gibt kaum eine Gespenstergeschichtenanthologie, in der Bulwer-Lyttons Geschichte nicht beinhaltet ist. Shirley Jacksons Roman wurde ein Bestseller und 1963 von Robert Wise unter dem Titel „The Haunting“ verfilmt.

Thehaunting1963Der Film zählt bis heute zu den besten Horrorfilmen, die jemals gedreht wurden. Damals galt er als einer der unheimlichsten Filme überhaupt. Robert Wise überträgt den psychologischen Gehalt des Textes in paranoide Bilderfolgen. Der Aufbau der Spannungen und nicht zuletzt die unheimlichen Geräusche (die eigentlichen „Stars“ des Films) sind kaum zu überbieten. Während Theodora in dem Roman andeutungsweise bisexuell charakterisiert wird, erhält sie in dem Film andeutungsweise einen lesbischen Charakter.

Dieser wurde in dem Remake des Films aus dem Jahr 1999 deutlicher herausgearbeitet. Actionregisseur Jan de Bont führte Regie, was diesem Film deutlich schadete. Denn anstatt eine spannende Geschichte und hervorragenden Nervenkitzel zu präsentieren, wird ein Nacheinander an Computer generierten Special Effects geboten, die die Handlung langweilig und eintönig und nicht zuletzt lächerlich machen. Von dem Klassiker Roberts Wises ist nichts mehr übrig.

The_Haunting_film
Das Remake von Robert Wises Klassiker.

Kehren wir 20 Jahre zurück.  1971 verfasste Richard Matheson den Geisterhausroman „Hell House“. Man muss nicht lange um den heißen Brei herumreden. „Hell House“ ist das literarische Remake von Shirley Jacksons berühmten Roman. Dieses Mal ist es der Physiker Dr. Lionel Barrett, der in dem berüchtigten Belasco House ein wissenschaftliches Experiment durchführen möchte. Mit dabei sind unterschiedliche Personen, u. a. ein Mann mit außersinnlicher Wahrnehmung. Die Handlung verläuft beinahe identisch mit derjenigen von „Hill House“, jedoch versehen mit ein paar Sexszenen, die für die spätere Verfilmung gestrichen werden mussten. Der Roman für sich genommen ist durchaus spannend und interessant. Im Vergleich mit „Hill House“ allerdings eher ein Ärgernis. Zu genau ist die Übernahme von Shirley Jacksons Idee.

HellHouse The_Legend_of_Hell_House

Der spätere Film aus dem Jahr 1973 (genau 10 Jahre nach „The Haunting“) übernimmt am Anfang die geniale Optik von Robert Wise, um sie kurz darauf jedoch ad acta zu legen und einen durchschnittlichen Film zu präsentieren. Ähnlich wie später bei „Ghostbusters“ entwirft der Physiker eine Apparatur, mit der es möglich ist, Geister einzufangen.

2002 kam es zu einer weiteren „Adaption“ von Shirley Jacksons Roman. Dieses Mal von Horrormeister Stephen King. Er verfasste das Drehbuch zu einem vierteiligen TV-Film mit dem Titel „Rose Red“ (Das Haus der Verdammnis). Wer den Film nicht kennt, kann dennoch die Handlung sicherlich bereits erraten. Es geht um eine Wissenschaftlerin, die mit Leuten, die paranormale Eigenschaften aufweisen, eine Nacht in einem angeblichen Spukhaus verbringen möchte. Das Experiment gerät jedoch aufgrund des tatsächlichen Spuks außer Kontrolle.

Stephen King übernahm genauso wie Richard Matheson die Grundidee Shirley Jacksons eins zu eins, würzte sie aber mit einer leicht veränderten Hintergrundgeschichte. Der Film selbst besitzt durchaus seine positiven Seiten, auch wenn die TV-Darsteller nicht wirklich überzeugen. Allein Julian Sands weist hierbei eindeutige Pluspunkte auf. Mit einer Laufzeit von knapp vier Stunden zieht sich die Geschichte zu sehr in die Länge. Dennoch wurde der Film ein Erfolg und führte 2003 zu einem Prequel (Das Tagebuch der Ellen Rimbauer), das in seiner Dramaturgie um ein Vielfaches besser ist als die Miniserie, auch wenn diesen Film heute niemand mehr kennt.

RoseRedShirley Jackson legte mit ihrem Roman eine Art Prototyp des Geisterhausromans vor. Auch wenn ihre Geschichte von Bulwer-Lyttons Erzählung „The Haunted and the Haunters“ (Das verfluchte Haus in der Oxfordstreet) inspiriert scheint, knüpfen spätere Spukhausromane und Filme an ihrem Erfolg an.