FuBs Fundgrube: „Mitternachtsstimmen“ von John Saul

John Saul gehört neben Stephen King, Peter Straub und Dean R. Koontz zu den erfolgreichsten Horrorautoren. Seit Ende der 70er Jahre verfasst er unheimliche Geschichten, die meisten davon in den 80er und 90er Jahren. Sein Roman „Am Strand des Todes“ (1979) wurde 1982 fürs Fernsehen verfilmt.

In Deutschland sind die meisten seiner Romane leider vergriffen bzw. nur noch antiquarisch erhältlich. Daher ist „Mitternachtsstimmen“ auch ein Fall für unsere Fundgrube, in der wir nur Bücher vorstellen, die nur noch in Antiquariaten zu finden sind. „Mitternachtsstimmen“ (OT: Midnight Voices) erschien in den USA 2002, die deutsche Übersetzung im Heyne Verlag erschien 2008. In den USA erhielt der Roman überaus positive Kritiken. Diesen kann ich mich nur anschließen.

John Saul besitzt nicht nur einen sehr guten Schreibstil, sondern schafft dabei auch noch eine dichte Spannung und ist zusätzlich dermaßen unterhaltsam, dass das Lesen 200 % Spaß macht. „Mitternachtsstimmen“ handelt von Caroline, deren Mann von einem Unbekannten ermordet wurde. Sie steht kurz davor, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können. Ihre beiden Kinder Laurie und Ryan sind fast ständig am Streiten. Da begegnet sie eines Tages plötzlich Tom, einem überaus netten und reichen Mann. Nach und nach lernen sie sich näher kennen und schließlich heiraten beide. Zusammen mit ihren Kindern zieht sie in Toms Wohnung in dem berüchtigten Gebäude The Rockwell, in dem es angeblich spuken soll. Caroline jedoch glaubt nicht an die Geschichten, die sich vor allem die Kinder erzählen. Doch kaum ist sie eingezogen, geschehen auch schon sonderbare Dinge. Ihre Kinder hören nachts unheimliche Stimmen. Carolines Freundin Andrea wird plötzlich ermordet. Und schließlich verschwindet ihr Tochter spurlos.

„Mitternachtsstimmen“ ist ein sehr kurzweiliger Roman, den man praktisch in einem durchliest. John Saul treibt die Handlung wie eine Achterbahnfahrt voran, wobei er auch darauf achtet, dass die Figuren keineswegs oberflächlich bleiben. Angefangen von Caroline bis hin zu den merkwürdigen Bewohnern des Rockwell wirken diese überaus lebendig und vielschichtig. Was John Saul dabei besonders gut gelingt, ist die durchgehende bedrohliche und beklemmende Atmosphäre, die dem Roman einen zusätzlichen Reiz verleiht. John Saul ist allerdings kein Autor, der – wie z.B. Stephen King oder Peter Straub – grundlegende Themen in seinen Romanen verarbeitet. Ihm geht es in der Hauptsache wirklich nur um die Unterhaltung. Doch dies macht er mehr als nur gut.

Was allerdings weniger gut ist, ist das Lektorat des Heyne Verlags, das bei „Mitternachtsstimmen“ wirklich geschlampt hat – und das ist noch sehr gelinde ausgedrückt. Fehlende Satzzeichen, fehlende Wörter, Einzahl-Mehrzahl-Durcheinander – obwohl ich das Buch antiquarisch erworben habe, hat es mich trotzdem ziemlich geärgert. Im Grunde genommen ist anzunehmen, dass kein Lektor das Buch nochmals durchgegangen ist. Der Roman selbst aber ist ein echtes Lesevergnügen.

John Saul. Mitternachtsstimmen. Heyne Verlag 2008, 478 Seiten.

Die Überfahrt – Mats Strandbergs Horrorsatire

Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön … – Das denken auch die Passagiere der Fähre Baltic Charisma, die an Bord vor allem zwei Dinge wollen: Alkohol und Sex. Denn dafür ist die Autofähre berühmt wie berüchtigt. Auf jeder Reise finden dort ausufernde Partys statt, es kommt zu Schlägereien und so ziemlich jeder benimmt sich daneben. Ebenfalls bekannt ist, dass die Passagiere in der Hauptsache aus einfachen Leuten und Proleten bestehen. Alle anderen, die etwas auf sich halten, nehmen lieber ein anderes Schiff. Doch bei der jetzigen Fahrt läuft alles anders. Denn zwei Vampire haben sich an Bord geschlichen, die mit den alkoholisierten Passagieren kurzen Prozess machen.

Was Mats Strandbergs erster Horrorroman vor allem ist, ist eine gelungene Satire. Strandberg lässt kein gutes Haar an seinen Landsleuten, die sich durch die Bank weg daneben benehmen. Es wird nur noch gekotzt, gepöbelt, gesoffen und gerammelt, sodass einer der Mitarbeiter bemerkt, dass sich bei jeder Fahrt fast alle Passagiere an Bord in Urmenschen verwandeln. Am gelungensten hierbei sind die Beschreibungen des ehemaligen Schlagerstars Dan Appelgreen, der nun als Witzfigur für die Abendunterhaltung herhalten muss, indem er Karaokewettbewerbe moderiert. In den jeweiligen Kapiteln zeigt sich der Autor in Bestform, da er mit einem Wisch jeweils eine große Bandbreite an Kritik und Spott loswerden kann.

Strandberg erweist sich dabei als ein minutiöser Beobachter, was wirklich beachtlich ist. Fast scheint es so, als würde er das beschreiben, was er selbst einmal auf einer Fähre erlebt hat. Das Verhalten und die jeweiligen Reaktionen der Figuren sind hervorragend geschildert, sodass es beinahe wirkt, als würde man einer Dokumentation über den Alltag auf einer Fähre beiwohnen. Hier überzeugt Mats Strandberg auf ganzer Linie und dies ist es auch, was den Roman spannend und interessant macht.

Neben der köstlichen Satire tritt allerdings auch eine vehemente Gesellschaftskritik zutage. Der Autor nimmt das Leben auf der Fähre als eine Art Sinnbild für den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft. Was er dabei sieht, sind zerborchene Existenzen, kaputte Familien, Gewalt, Roheit – eine Gesellschaft, die sich praktisch selbst zerstört, wie es in dem Roman interessanterweise mehrmals heißt.

Doch dann kommt der Dämpfer. Denn diese durchaus düstere, dennoch immer wieder witzige Satire, verbunden mit einem treffsicheren Spott, würzt Strandberg mit der Handlung eines Horrorromans. Nach und nach werden die Passagiere Opfer zweier Vampire, bevor sie sich selbst in Vampire verwandeln. Was zunächst ebenfalls seinen Witz hat (Grusel sucht man in dem Roman vergeblich), wird jedoch in der zweiten Hälfte des Romans zu einer Art bloßen Aneinanderreihung an blutigen Geschehnissen, die zunehmend langweilen, da sie alle exakt nach dem gleichen Muster ablaufen.

Ein wenig mehr Einfallsreichtum hätten den Horrormomenten durchaus gut getan, so aber präsentiert Strandberg lediglich einen uninspirierten Hollywood-Vampirismus, indem sich die Verwandlungen genauso ereignen wie in Zombie- oder eben Vampirfilmen. Zwar schimmern auch in der zweiten Romanhälfte immer mal wieder satirische Aspekte hindurch, besonders wenn es um den ehemaligen Schlagerstar geht, doch helfen diese nicht, um den Roman zurück in sein ursprüngliches Fahrwasser zu bringen.

Aus diesem Grund hat Mats Strandberg zwar eine geniale und lesenswerte Satire geschaffen, als Horrorautor aber muss er eindeutig noch üben.

Mats Strandberg. Die Überfahrt. Fischer/TOR 2017, 506 Seiten, 14,99 Euro, ISBN: 978-3-596-29599-9