Die Karl May-Filme der 60er Jahre, in denen Lex Barker als Old Shatterhand und Pierre Brice als Winnetou gegen diverse Bösewichte kämpften, sind Klassiker des europäischen Kinos. Nun hat man sich erneut des Stoffes angenommen, dieses Mal allerdings fürs Fernsehen.
Erneut wählte man als Kulisse die Naturlandschaften Kroatiens, die einmal mehr als Wilder Westen herhalten muss. Geplant und produziert wurden insgesamt drei Filme mit den Titeln „Eine neue Welt“, „Das Geheimnis vom Silbersee“ und „Der letzte Kampf“. Die Neugierde war natürlich groß, was RTL aus dem Klassiker machen würde. Den Film „Eine neue Welt“ konnten wir nun vorab sichten.
Die Handlung spielt im Jahr 1860. Karl May reist in die USA, um dort am Bau der Eisenbahn mitzuwirken. Doch schnell muss er feststellen, dass sich seine romantischen Vorstellungen vom Wilden Westen mit der Realität nicht decken. Besonders schockiert ihn dabei, wie die weißen Siedler mit den Indianern umgehen. Nach einem Überfall von Apachen auf einen Vermessungstreck, wird Karl May schwer verwundet in die Siedlung der Indianer gebracht. Diese verleihen ihm den Namen Old Shatterhand, da er hervorragend boxen kann. Nachdem er von Winnetous Schwester Nscho-tschi gesund gepflegt wird, nimmt er gemeinsam mit Winnetou den Kampf gegen die Eisenbahnbauer auf.
Regisseur Philip Stölzl hatte großes vor, als er sich des Klassikers für eine Neuverfilmung annahm. Immerhin haben sich die Abenteuerfilme von Harald Reinl tief ins popkulturelle Bewusstsein Deutschlands eingegraben – und nicht weniger in die Geschichte des deutschen Films. Wer Old Shatterhand sagt, denkt zugleich an Sexy Lexy, und bei Winnetou ist es Pierre Brice, der aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Alain Delon in Frankreich keine Karriere machen konnte.
Für Stölzl war es wohl klar, dass er Harald Reinls „Handschrift“ nicht imitieren wollte. So setzt er statt auf ein rasantes Voranschreiten der Handlung mehr auf eine epische Breite. Die einzelnen Szenen sind hierbei sehr sorgfältig konzipiert, und Stölzl zeigt, was in vielen deutschen Filmen fehlt: eine hervorragende Optik. Weite Landschaftsaufnahmen, wie es sich für einen Western gehört, wechseln sich ab mit eleganten Kamerafahrten. All das wird ergänzt durch eine schöne Farbgebung. Auch bei den Kostümen und den Masken hat man sich wirklich Mühe gegeben: so erkennt man Jürgen Vogel als brutalen Vorarbeiter Rattler kaum wieder.
Stölzl lässt sich mit der Entfaltung des Konflikts Zeit – und schafft dennoch keine Langeweile. Während in den Filmen der 60er Jahre ständig irgendetwas passierte, setzte der Regisseur des neuen Winnetou auf die oben genannte Optik. So ist der Film vor allem ein Fest fürs Auge. Dies allerdings auf Kosten der Action, denn diese ist, im Vergleich mit dem Original aus dem Jahr 1963, dann doch eher spärlich gesät.
Was die Schauspieler betrifft, so standen auch sie vor einer großen Aufgabe. Sowohl Wotan Milke Möhring als Old Shatterhand bzw. Karl May als auch Nik Xhelilaj als Winnetou verleihen den Figuren neues Leben. Während Xhelilaj auf den Spuren Pierre Brices wandelt, versucht sich Möhring in einer durchaus originellen Darstellung Old Shatterhands, indem er versucht, die Charakteristik eines deutschen Quasi-Auswanderers mit derjenigen eines klassischen Helden zu verbinden.
Winnetou 2016 ist für einen TV-Film erstklassig. Es ist schade, dass man sich nicht an einen Kinofilm herangewagt hat. Doch als Trost erklingt immerhin Martin Böttchers bekannte Winnetou-Melodie, wenn auch nur in Ansätzen. Aber zusammen mit den wunderbaren Aufnahmen erzeugt dies einen neuen Hang zum Abenteuer. Und das ist, was zählt.
Winnetou: Eine neue Welt. Regie: Philip Stölzl, Drehbuch: Jan Berger, Produktion: Christian Becker, Darsteller: Nik Xhelilaj, Wotan Milke Möhring, Iazua Larios, Jürgen Vogel, Milan Peschel, Oliver Masucci. Deutschland 2016, 117 Min.