FuBs Klassikbox: Die Nacht hat tausend Augen (1948)

Die Nacht hat 1000 Augen (1948); © Koche Media

Für Edward G. Robinson war dieser Film nur eine kleine Randnotiz in seiner Autobiographie wert: er finde „Die Nacht hat tausend Augen“ äußerst misslungen und habe nur wegen des Geldes mitgespielt. Seine Einstellung ist wirklich erstaunlich, handelt es sich bei „The Night has a thousand Eyes“ um einen der wohl faszinierendsten, unheimlichsten und spannendsten Noir-Filme.

„Der Tod kommt um 11“ lautete der deutsche Alternativtitel und lag dabei gar nicht mal so falsch. Es geht nämlich um Jean Courtland, die um 11 Uhr nachts sterben soll. Ihr Tod wurde ihr durch den sonderbaren John Triton vorausgesagt. Triton verdiente in frühen Jahren sein Geld auf Jahrmärkten als vermeintlicher Wahrsager. Bei einer Vorstellung jedoch sah er einen Todesfall voraus. Von da an wird er immer wieder von Visionen heimgesucht, die kurz darauf schreckliche Wirklichkeit werden. So prophezeit er auch den Tod Jeans, mit der er auf eigenartige Weise verbunden ist. Während Triton versucht, Jeans Schicksal aufzuhalten, setzt die Polizei alles daran, ihn hinter Gitter zu bringen, da sie ihn für einen gemeingefährlichen Scharlatan hält.

John Farrow, der durch John Waynes einzigen 3D-Film „Man nannte mich Hondo“ (1953), bei dem er Regie führte, praktisch in die Filmgeschichte einging, war auch für die Adaption des gleichnamigen Romans von Cornell Woolrich verantwortlich. Woolrich‘ Erzählungen und Romane waren immer wieder für Hollywood interessant, man denke nur an Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ (1954), dennoch starb der Autor völlig verarmt. „Die Nacht hat tausend Augen“ ist das, was man heute als Mystery-Thriller bezeichnen würde.

Von Anfang an herrscht eine düster-unheimliche Atmosphäre, die sich dadurch zunehmend verstärkt, da John Farrow mit den Aspekten des Phantastischen regelrecht spielt. Während die Handlung durchaus realistisch bleibt, schleichen sich dennoch immer wieder rätselhafte Ereignisse ein, die eben mit einer herkömmlichen Rationalität nicht zu erklären sind. John Triton, Jean Courtland und alle anderen, die in diesen Fall involviert sind, scheinen regelrecht von einer unheimlichen, ja unerklärlichen Bedrohung umgeben zu sein.

Die Nacht hat 1000 Augen (1948); © Koche Media

Fast schon wie bei Lovecraft verweist „Die Nacht hat tausend Augen“ dabei auf eine Welt jenseits unseres Verstandes, die sich hinter der Fassade verbirgt, die unseren Alltag definiert. Natürlich kommen keine Monster vor, doch geht es eben um eine Art kosmisches Grauen, wie Lovecraft dies bezeichnen würde, und wahrscheinlich hätte er dem Film 100 Punkte verliehen. Man würde sicherlich zu weit greifen, wenn man in „Die Nacht hat tausend Augen“ erste Ansätze von Clive Barkers „Lords of Illusions“ (1995) sehen würde, doch würde es andererseits auch nicht wundern, wenn Barker sich von diesem Film hat auf irgendeine Weise inspirieren lassen.

„Die Nacht hat tausend Augen“ ist jedenfalls ein spannender, nein, ein hochspannender Thriller, der die Mystery-Elemente bis zuletzt auskostet, wobei das Tempo des Films sich von Szene zu Szene erhöht. Möglich, dass Edward G. Robinson, der ja vor allem in reinen Gangsterfilmen beheimatet war, die übersinnlichen Aspekte des Films für störend hielt, was ihn letztendlich zu seiner oben erwähnten Aussage geführt hat. Ihm zur Seite stand Gail Russell, die schon eher im Mystery-Genre erprobt war, hatte sie doch bereits in dem Gruselkrimi „Der unheimliche Gast“ (1944) mitgewirkt.

„Die Nacht hat tausend Augen“ ist das, was man als vergessene Perle des Film Noir bezeichnen könnte. Kurz: ein großartiger Film.

Die Nacht hat tausend Augen (OT: The Night has a thousand Eyes). Regie: John Farrow, Drehbuch: Jonathan Latimer, Produktion: Endre Bohem, Darsteller: Edward G. Robinson, Gail Russell, John Lund, Virginia Bruce, William Demarest, Richard Webb, Jerome Cowan. USA 1948, 81 Min.