Schau heimwärts, Engel – Ein Klassiker der Klassiker

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Cover der Originalausgabe von 1929

Es gibt nicht viele Romane, von denen gleich eine Vielzahl von bekannten Schriftstellern behaupten, dass dieser sie selbst zum Schreiben gebracht oder ihren Stil beeinflusst habe. Ein solcher Fall ist „Schau heimwärts, Engel“ von Thomas Wolfe (1900 – 1938) aus dem Jahr 1929.

Philip Roth, Ray Bradbury, William Faulkner, sogar Hermann Hesse konnten sich nicht diesem Meisterwerk entziehen. Jack Kerouac und die gesamte Beat Generation betrachtete Thomas Wolfe als ihr Vorbild. Und dies nicht ohne Grund. Das, was Thomas Wolfe dem damals bekannten Lektor Maxwell Perkins anbot, sucht bis heute seinesgleichen. Das Manuskript soll angeblich weit über 1000 Seiten gehabt haben. Um es in einen Band herausbringen zu können, wurde der Text auf knapp 600 Seiten zusammengestrichen.

Wolfe war davon nicht wirklich begeistert, doch lag es ihm vor allem daran, endlich den Roman veröffentlichen zu können, nachdem bereits mehrere Verlage das Buch abgelehnt hatten. „Schau heimwärst, Engel“ ist die Geschichte der Familie Gant, die in dem fiktiven Ort Altamont lebt, wo der Vater als Steinmetz arbeitet. Vor dem Geschäft steht ein steinerner Engel, da Gant sich von einem gemeißelten Engel, den er einmal gesehen hatte, zum Bildhauer berufen sah. Im Mittelpunkt aber steht der Junge Eugene Gant, der als letzter von insgesamt acht Kindern zur Welt kommt.

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Thomas Wolfe (1937)

In der Familie geht es alles andere als harmonisch zu. Der Vater ist ein Trinker und versucht stets, seine Frau zu demütigen, während Eliza von Grundstückspekulationen nicht genug bekommen kann, was dazu führt, dass sie sich nicht richtig um ihre Kinder kümmert. Auf diese Weise bekommt Eugene vor allem tiefe familiäre Konflikte mit. Sein ältester Bruder Steve verkommt zu einem Alkoholiker und Herumtreiber, Eugene selbst wird von der eigenen Familie als Außenseiter betrachtet, da er sich für Literatur interessiert und lieber Bücher liest, als sich einen Job zu suchen.

Wolfe erzählt in „Schau heimwärts, Engel“ keine durchgehende Geschichte. Es handelt sich viel eher um eine Aneinanderreihung verschiedener Episoden. In diesen zeigt der Autor eine fast unbändige Sprachgewalt. Fast wie in einem nicht endenden Rausch schildert er die tragische Geschichte, die zugleich seine eigene ist. Wie kein anderer Autor machte Wolfe aus seinem Leben einen Roman. Seine Familie und die Einwohner von Ahseville waren über die Schilderungen empört. Zwar änderte Wolfe die Namen der Figuren, doch wusste jeder, wer gemeint war.

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Cover der ersten Übersetzung von 1932

Die Folge davon war, dass Thomas Wolfe für mehrere Jahre nicht mehr in seine Heimatstadt zurückkehrte. „Schau heimwärts, Engel“ schlug ein wie eine Bombe. Der Roman wurde zu einem Bestseller. Wolfe, der bis zur Veröffentlichung von seiner 20 Jahre älteren Freundin Aline Bernstein, die eigentlich verheiratet war und zwei Kinder hatte, finanziell unterstützt worden war, konnte von da an selbst für sich aufkommen.

Wer einmal mit „Schau heimwärts, Engel“ begonnen hat, kommt nicht wieder davon los, bis er die letzte Seite des umfangreichen Romans erreicht hat. Wolfe schreibt einerseits sehr poetisch, andererseits aber auch unglaublich packend. Gerne übertreibt er, was die Gestik seiner Figuren anbelangt, sodass manche Szene wie aus einem klassischen Drama erscheint. Es fehlen aber genauso wenig Witz und Ironie, die fein in den Roman eingewebt sind. Zugleich finden sich in dem Roman eine Unmenge an literarischen Anspielungen und Zitaten, die Wolfes Belesenheit offenbart. Kurz: „Schau heimwärts, Engel“ ist ein Roman, den man gelesen haben muss.